Kulturmagazin Nr.57

kulturmagazin nr_57_februar_2000Februar 2000

Die geschnürte Schönheit
Die Wiederentdeckung des Korsetts im Zeitalter von Mode, Erotik und Lifestyle.

Unsere Schönheit ist das höchste Gut einer auf " Events" und Spass ausgerichteten Lifestyle- und Ereignisgesellschaft. Auch wenn angesehene Trendforscher für das kommende Jahrhundert den Trend zur "Neuen Bescheidenheit" ausmachen und unter dem Begriff "Cocooning" einen Rückzug aus der Öffentlichkeit in die Privatsphäre prognostizieren, bleibt die erlesene Oberfläche und der Hang zum ausgewählten Einzelstück erhalten.

Endlich folgt man jenen Future-Designern - entdeckt auch der Mann die Mode und die Produkte der Schönheitsindustrie für sich und investiert mehr Zeit in die Pflege seiner Kleider und seines Körpers. Krafttraining ist out. Aus den ehemaligen Bodybuilding-Hochleistungs-Maschinerien der 80er Jahre sind die Wellness-Farmen und Beauty-Body-Studies der späten 90er Jahre und des beginnenden 21. Jahrhunderts geworden. Plastische Chirurgie wird zur Katalogware und die verschiedenen Diäten, Schönheitswochenenden und Gewichts-Kontroll-Gruppen eifern in den einschlägigen Blättern um die Gunst der zu dick gewordenen - und derer, die sich angesichts des "noch dünner, noch jünger" dafür halten. Edelstahl statt FischbeinSchluss mit dem Schönheitsstress und zurück zu den Ursprüngen der Schönheit, so könnte man die Wiederentdeckung des Korsetts umschreiben, die unlängst durch die Eröffnung des "Korsett-Atelier-Kassel" auch eine Institution gefunden hat. Die Inhaberin Susanne Braasch setzt gezielt auf ein seriöses Verkaufsambiente und betont die ihrer Meinung nach wichtige individuelle Beratung und Massnahme, denn "ein schlecht sitzendes Korsett ist so schädlich wie ein nicht passendes Paar Schuhe". Aber nicht nur Passform und Sitz, auch die eigens überprüfte Qualität der angebotenen Schnitte und verwendeten Stoffe, die eine bestimmte Webdichte aufweisen und hautverträglich sein müssen, sind der 35-Jährigen wichtig. Edelstahlspiralfedern ersetzen das starre Fischbein. Diese sind besonders verarbeitet, um Druckstellen und Verschleiss zu verhindern. Dies gilt ebenso für Vorderschliesse und Rückenschnürung. Individuelle Ergänzungen, die sie ebenfalls bereithält, setzen die persönliche Note. Vergessen sind die Tage der schweinchenfarbenen Schmuddelerotik und die Befürchtungen gesundheitlicher Folgeschäden, begonnen haben die Zeiten des modischen Korsetts, des anregenden Etwas für drüber und drunter.

Vom Selbstversuch zur Geschäftsgründung

Angefangen hatte es bei Susanne Braasch mit einem Selbstversuch bei einer Freundin, der schliesslich zu einem sporadischen Tragen des Korsetts führte. Die neu entdeckte Leidenschaft stiess jedoch bald an ihre Grenzen. Die existierenden Bezugsquellen waren schnell erschöpft und enttäuschten die gelernte Einzelhandelskauffrau. Warum nicht also ein eigenes Geschäft eröffnen? Unter der Überschrift "Viktorianische Schnürkorsetts" brachte eine Test-Anzeige mehrere hundert Anfragen, die ein ausreichendes Geschäftspotenzial signalisierten. Bereits zu diesem Zeitpunkt, als die Korsetts noch per Prospekt und Post ihren Weg an die Frau fanden, steckte eine Menge Detailarbeit in dem Geschäft. Wer stellt die entsprechenden Stoffe im zeitgemässen Design ''noch'' her?, wer kann auch nach historischen Vorlagen moderne Modelle entwerfen und dann auch entsprechend preisbewusst herstellen? So sind die Modelle Rose, Tess, Viktoria, Scarlett, Antonia und Gloria, die bereits im Namen ihre historisch-glamouröse Herkunft nicht verleugnen, das Ergebnis aufwendiger Handarbeit. Der ansprechende Katalog verrät schliesslich den zeitgemässen Stil der Entwürfe, die die überdauernde Faszination und den erotischen Beigeschmack des Kleidungsstücks ob als Dessous oder Oberteil, als Unter- oder Überbrustkorsett - transportieren. Spätestens hier wird auch deutlich, welche Unterschiede zwischen den Massenangeboten des Warenhauses Wertheim um die Jahrhundertwende - als das Korsett noch ein modisch-gesellschaftliches Aus war und der heutigen Idee des individuellen und anspruchsvollen Einzelstückes existieren. Dass das Korsett in seiner damaligen Form von den Lebensreformern und der Frauenbewegung auch als Symbol einer in ''Konventionen eingeengten Gesellschaft'' bekämpft wurde, mag als Detail die historische und gesellschaftlichsymbolische Dimension des Korsetts verdeutlichen.

Erlaubt ist, was schön macht

Auch wenn Männer nach und nach den Geschmack am Korsett finden - oder aus orthopädischen Gründen gezwungen sind, eins zu tragen - sind es natürlich vor allem Frauen, die Susanne Braasch in ihrem Geschäft in der Wilhelmshöher Allee berät. Sie habe mittlerweile Anfragen und "Publikum aus ganz Deutschland", verrät sie und fügt hinzu, dass die echten Freunde des Korsetts auch aus ganz Deutschland anreisen: "Denen ist kein Weg zu weit." Dies sei auch notwendig, denn der richtige Sitz des Korsetts ist wichtig für die Körperhaltung, und schliesslich investiert man ja auch zwischen 570 und 1300 Mark für das gewisse modische Etwas. Es verspricht eine angenehme Einkaufsfahrt zu werden.

Die historische Reminiszenz, die Liebe zum eigenen Körper, die Renaissance der Erotik, der Hang zur Exklusivität und die Betonung einer gewissen modischen und qualitativ hochwertigen eigenen Note machen das Korsett in dieser Form zu einer zeitgemässen Wieder-Entdeckung. Erlaubt ist, was schön macht, und schön macht, was erlaubt ist.

Michael Grisko
Artikel im Kulturmagazin Nr.57 Februar 2000